Tra la!

Tag 16. Leise und noch etwas verhalten singt in mir eine fröhliche Stimme. Die Kraft kehrt zurück, das Leben sprudelt wieder. Tra la! Der Frühling kommt. Er vertreibt die Eiswinde. Ich bin bereit. In der vergangenen Woche ging es mir täglich besser. Jetzt werde ich ungeduldig. Ich will das neue Spiel mit Läufen im Wald und zum See erproben. Sobald die Luft etwas milder ist, geht es los. Tra la!

Am letzten Sonntag (Tag 10) bin ich im Park 4 km spazieren gegangen. Ich hatte Muskelkater und war gestresst. So verzichtete ich auf allen Ehrgeiz und freute mich an den paar Sonnenstrahlen, die sich durch das graue Einerlei bohren konnten.

Am Montag (Tag 11) hatte ich weiterhin Muskelkater. Ich wanderte zum Waldrand und zurück (11 km). Auf dem Hinweg malte ein Mäusebussard selbstvergessen Kreise an den Himmel. Plötzlich erklang das Kriegsgeheul einer einzelnen Krähe. Sie flog auf den Bussard zu. Dann verschwand sie aus meiner Sicht und der Bussard schien in Ruhe seine Kreise zu ziehen. Aber als ich wenig später noch einmal aufschaute, da hackte die Krähe schon am Bussard herum und zwang ihn immer tiefer zu fliegen. Auf dem Rückweg sah ich eine Krähe mit einem Zweig für den Nestbau im Schnabel herumfliegen. Wenn man bedenkt, daß ein Bussard die kleinen Krähenkinder aus ihren Nestern raubt, dann versteht man, warum die Krähen die Bussarde angreifen.

Am Dienstag (Tag 12) radelte ich 25 km, während Dr. Who im Fernsehen lief. Nach einer Stunde hatte ich die 25 km abgeradelt (auf Stufe 1).

Am Mittwoch (Tag 13) radelte ich 20 km (auf Stufe 2) mit dem Zimmerfahrrad beim Fernsehen.

Am Donnerstag (Tag 14) schaute ich morgens aus dem Fenster und sah Schneegestöber! Der Muskelkater war verschwunden. Also entschied ich mich, das am Sonntag wegen Muskelkater ausgefallene Dehnen mit Dr. Daniel Gärtner nachzuholen. Zum Aufwärmen machte ich ein kleines Zirkeltraining aus Stabi-Übungen.

Am Freitag (Tag 15) fuhren mein Mann und ich zum großen Fluss hinter dem Berg. Es war sehr kalt und der Eiswind fegte über die Wasseroberfläche. Ich fror und es kam gar nicht in Frage, nach Hause zu laufen. So radelte ich zu Hause 20 km auf Stufe 2 vor dem Fernseher. Das radeln stärkt die Beinmuskeln. Das macht sich beim Treppensteigen angenehm bemerkbar. Die Idee mit dem Zimmerfahrrad hatte meine Schwester. Vielen Dank, die Idee war ausgezeichnet! Ich wäre über den Verlust des täglich Laufens nicht so leicht hinweggekommen. Danke!

Heute, am Samstag (Tag 16) wärmte ich mich mit 6 km Radeln auf Stufe 1 im Zimmer auf. Danach machte ich Stabi-Übungen. Die Kraft im Rumpf hat der Infekt gestohlen. Aber ich hole sie mir zurück!

Täglich Pilgern

Tag 1690. Laufen, die Gedanken fliegen lassen, mit der Welt, die einen umgibt, verschmelzen hat etwas magisch mystisches. Der ökonomisierte, rationalisierte, kontrollierte, zivilisierte, politisierte und ich weiß nicht was noch …ierte Alltag verschwindet aus dem eigenen Kopf. Man schreitet durch die Welt und ist so sehr in der Welt wie selten. Und, so widersprüchlich das ist, fühlt man zugleich die Freiheit von der Welt. Zurück zu Hause stellt man fest, daß eine Aufräumaktion im eigenen Inneren stattgefunden hat und man ist wieder offen für den Alltag.

Am letzten Sonntag (Tag 1684) lief ich die Parkseerunde (8 km). Ich lief einen Kilometer mehr, weil meine Feenuhr drängte, damit ich mein Fitness-Alter weiter verbessere. Dann war ihr aber der eine zusätzliche Kilometer nicht genug. Der Lauf war erfrischend. Die Sonne schien. Die Luft war kalt. Viele Menschen genossen den schönen Wintertag. Im Sonnenlicht wirkten die Fruchtstände der Haselsträucher noch dicker als an grauen Tagen. Abends absolvierte ich Tag 3 der ersten Woche im Einsteigerprogramm.

Am Montag (Tag 1685) turnte ich gleich am Morgen. Später lief ich die Parkseerunde (7 km). Das war schwer. Ich hätte wohl zwischen beiden Aktivitäten statt den Wocheneinkauf zu erledigen, etwas essen sollen. Mit leeren Kohlehydratspeichern ist der Körper nämlich bleischwer.

Am Dienstag (Tag 1686) lief ich die Waldseerunde (15 km). In der Nacht hatte ich die letzten hundert Seiten von Rachel Joyce „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ gelesen. So war ich nicht nur müde, sondern in Gedanken begleiteten mich Harold, die todkranke Queenie und Maureen. Harold wollte eigentlich nur einen Brief an Queenie einstecken. Dann dachte er: „Ach, gehe ich doch zum nächsten Briefkasten.“ So ging er weiter bis Harold in neunzig Tagen an das andere Ende von Schottland gelaufen war, um dort an der Tür von Queenie zu klingeln. Für die ganze Geschichte brauchte ich gut zwei Päckchen Tempotaschentücher. Es war so rührend. Am liebsten würde ich nicht mehr vom täglich Laufen sondern nur noch vom täglich Pilgern reden. Wie Harold beim Laufen seine innere Welt entdeckt, wie er Freiheit und Frieden innen und außen erlangt, ist eine Variation dessen, warum ich das tägliche Laufen so schätze. Schluchz!

Am Mittwoch (Tag 1687) lief ich nur kurz. Vorher hatte ich Tag 4/Woche 1 geturnt. Es schneite gerade und die Landschaft war mit einem weißen Hauch überzogen. Schön!

Am Donnerstag (Tag 1688) lief ich kurz.

Am Freitag (Tag 1689) lief ich zum Badesee (19 km). Erst fühlte ich mich elend. Aber nach ein paar Kilometern wurde ich immer glücklicher. Das Wetter war grau. Im Wald war ich fast allein, was ich sehr genossen habe. Ein Bussard überquerte meinen Weg. Ein kleiner Buntspecht krallte sich an einen Baum und schaute zu mir her. Als ich zurück in die Stadt kam, hörte ich schon von Weitem das „Hallo!“, das die Krähen von den Dächern jubelten.

Heute, am Samstag (Tag 1690) turnte ich am Morgen. Danach lief ich die Parkseerunde (7 km). Erst schneite es, dann schien die Sonne. Der Schnee blieb nicht liegen. Die Vögel zwitscherten und wieder kam eine Ahnung von Frühling auf, auch wenn die Luft noch winterlich kalt war.

Täglich Laufen! Atmen! Glücklich sein!

Tag 1018. Täglich Laufen! Atmen! Glücklich sein! In dieser Woche gelang mir das hin und wieder. Das Wetter war schön. Die Tage werden immer heller. Herrliche Sonnenstunden machten es dem Glücksgefühl leicht, mich auf meinen Wegen zu begleiten. Da aber kalter Wind teilweise meine Freude trübte, wird diese Woche keinen bevorzugten Platz im Schatzkästlein meiner Erinnerungen finden. An die zwanzig Kilometer pro Lauf bin ich noch nicht wirklich gewöhnt. Auch das Krafttraining fällt mir noch nicht wirklich leicht. Es bleiben für dieses Jahr noch Wünsche übrig. Ich sehe mit gelassener Neugier und Zuversicht auf die kommende Zeit.

Am letzten Sonntag (Tag 1012) bin ich nur kurz im Park gelaufen.

Am Montag (Tag 1013) ging es dann wieder zum See im Wald (20 km). Zwar schien die Sonne, aber es wehte ein sehr kalter Wind. Jeden Tag gibt es neue Blättlein an Büschen und Blütlein am Boden. Die Bäume sind aber noch nicht soweit, daß sie grün werden. Da braucht es noch ein wenig Geduld. Auf einem Baum saßen vier Eichelhäher zusammen. Am See trockneten sich gerade beide Kormorane die Flügel. Zwei Mäusebussarde schraubten sich allein durch den Aufwind in unglaubliche Höhen. Beim Laufen habe ich wieder vermehrt auf den Laufstil geachtet. Dazu gehört die Atemtechnik, die Körperhaltung und das Laufen selbst. Es macht Spaß und fühlt sich sehr entspannt und gut an.

Am Dienstag (Tag 1014) bin ich gleich früh zur kleinen Parkrunde aufgebrochen (4 km). Auf einem Teil meiner Runde liefen Schulkinder, die gerade Sportunterricht hatten. Ein Junge lief vorneweg. Dann kamen zwei weitere Jungs und in einem deutlichen Abstand ein schnelles Mädchen. Ab dann wurde gekeucht. In dieser Art sehe ich das sogar schon bei Kindergartenkindern. Und ich sehe es auch bei den Hundegruppen, die ich im Wald treffe. Es berührt mich. Aber ich kann es nicht einordnen.

Am Mittwoch (Tag 1015) bin ich wieder die 20 km gelaufen. Es war ein herrlicher Sonnentag. Ein Teil des Weges konnte ich im Pullover laufen. Dann kam sehr kalter Wind auf. Ich brauchte doch wieder Handschuhe, Stirnband und Windschutz. Am See war die Stimmung sonnig. Der Haubentaucher hatte sich verdoppelt und die beiden konnten nicht voneinander lassen. Kampf oder Liebe? Ich weiß es nicht. Zehn Meter neben mir landete ein Bussard und pickte etwas auf. Ich blieb stehen und schaute dem Vogel zu. Der guckte mich zwischen dem Picken immer wieder an und entschied sich dann für den Abflug. Es ist beglückend und auch unheimlich einen so großen Raubvogel aus nächster Nähe zu betrachten. Auf dem Heimweg hätte ich Salbutamol gebraucht. Die Atmung wurde immer schwerer. Ich hatte aber gehofft, ich würde mich von alleine erholen. Leider passierte das nicht. Ich glaube, es war ein Fehler auf das Medikament zu verzichten. So habe ich mir am Ende den Lauf schwer gemacht, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Die Lehre von der Geschicht‘: „Vergiss das Salbutamol nicht!“

Am Donnerstag (Tag 1016) war wieder die kleine Parkrunde dran. Ich bin erst nachmittags gelaufen. Die Sonne schien und es war warm. Ich konnte im T-Shirt laufen. Sehr schön!

Am Freitag (Tag 1017) bin ich die Waldseerunde mit Schlenker (15 km) gelaufen. Die zwanzig Kilometer erschienen mir an diesem Tag zu viel. So beschloss ich, am Freitag und am Tag darauf die Waldseerunde (14 km) zu nehmen. Es ist für mich leichter zwei mal 14 km zu laufen als einmal 20 km, zumal auf der Runde mit den 20 Kilometern mehr Hügel zu erlaufen sind. Das Laufen auf der Ebene ist für mich locker und entspannt möglich. Sobald aber ein Hügel zu erlaufen ist, kommt meine Lunge sofort an ihre Grenze. Auf der Waldseerunde konnte ich gut entspannen. Ich fühlte die kühle Luft und freute mich an erfrischendem Nieselregen, der gelegentlich vom Himmel fiel. Ich konnte loslassen. Wärme durchfloss meinen Körper. Die Gedanken versiegten. Der Wald flog an mir vorbei. Ja, so fühlt sich das Glück an. Am See war es sehr still. Der Nieselregen hatte wohl die Menschen vertrieben. Die Wasservögel waren mit sich selbst beschäftigt. Die zwei Schwäne hatten sich im Schilf ein ruhiges Plätzchen gesucht. Zwei Erpel warben um eine Ente. Plötzlich konnte ich mir vorstellen, wie es sich anfühlen würde, wenn diesen Erdenbewohnern die Wasserflächen allein gehören würden. Für diesen Moment schien eine friedliche Welt möglich.

Heute, am Samstag (Tag 1018) ging es noch einmal auf die Waldseerunde (15 km). Diesmal lief ich früh los. Die Finsternis wurde gerade eben vom ersten Licht vertrieben. Es war ein einsamer Lauf. Kühle umfing mich. Ich fühlte die kranke Lunge. In Gedanken ließ ich mich törichterweise wiedermal verführen, die Nähe zur Sterblichkeit mit einer Marathondistanz zu bemessen. Gerade wollte ich mich in Sicherheit wiegen, daß die Zeiten, in denen das geeignete Maß die tägliche Meile war, definitiv vorbei seien. Da fühlte ich plötzlich, welch herrlicher Wahnsinn das Laufen in meiner Situation ist. Brechts Mahnung gegen Verführung kam mir in den Sinn: „Laßt euch nicht verführen! Es gibt keine Wiederkehr. Der Tag steht in den Türen; Ihr könnt schon Nachtwind spüren; Es kommt kein Morgen mehr. Laßt euch nicht betrügen, daß Leben wenig ist. Schlürft es in vollen Zügen! Es wird euch nicht genügen. Wenn ihr es lassen müßt! Laßt euch nicht vertrösten! Ihr habt nicht zu viel Zeit! Laßt Moder den Erlösten! Das Leben ist am größten: Es steht nicht mehr bereit. Laßt euch nicht verführen zu Fron und Ausgezehr! Was kann euch Angst noch rühren? Ihr sterbt mit allen Tieren. Und es kommt nichts nachher.“
Und da war wieder das wunderbare reine Gefühl des Daseins, des inneren Jubels über das Laufen: Täglich laufen! Atmen! Schnaufen! Glücklich sein! Wie soll mich da Angst noch rühren? Fron und Ausgezehr verführen? Ich laufe! Ich lebe! Ich fühle! Ich bin! Was für ein schöner Tag!

In diesem Sinne wünsche ich schöne Tage!