Ein gutes Jahr

Tag 570. Dieses Jahr war ein gutes Jahr für mich. Ich bin jeden Tag ein Stückchen und insgesamt rund 2.200 km gelaufen. Ich habe eine Medikation gefunden, die mir das Atmen erleichtert. Ich kann etwas schneller laufen bevor meine Sauerstoffsättigung unter 90 % fällt. Ich kann jeden zweiten Tag 14 km laufen, ohne daß ich kaputt gehe. Meine Gemütslage ist ausgeglichen. Kurz gesagt, ich fühle mich wohl. Das ist eine gute Basis für das nächste Jahr. Ich träume davon eines Tages im Sommer morgens zum See zu laufen, dort zu schwimmen und dann wieder nach Hause zu laufen (= 17 km). Noch fehlt mir die Ausdauer und zugleich bin ich noch zu langsam. Um schneller zu werden reicht im Moment einfach laufen, laufen, laufen. Zur Unterstützung der Ausdauer und der Schnelligkeit wäre sicher nicht falsch endlich regelmässig ein Krafttraining zu machen. Und während ich hier am Computer so vor mich hin überlege, denke ich, der sinnvollste Vorsatz für nächstes Jahr wäre: Täglich ein paar Stabilisierungsübungen zu machen. Ein kleines bescheidenes Programm soll mir erstmal reichen. Ach ja, da fällt mir ein, ich wollte schon lange von einer 78-jährigen erzählen, die ich vor dem Schwimmbad getroffen habe. Sie hatte mit Ende zwanzig einen Unfall und sie hat einen Lungenflügel verloren. Sie konnte nach dem Unfall nur unter schwerem Schnaufen ein paar Schritte zurücklegen. Dennoch hat sie sich durchgekämpft. Sie ist täglich so Rad gefahren, daß sie schwer atmen mußte. Nun war sie nach vielen Jahren mal wieder beim Lungenarzt, weil sie wissen wollte, wie es jetzt, da sie eine alte Frau sei, um sie steht. Zu ihrer und des Arztes großen Verblüffung hatte sie inzwischen eine „normale“ Lungenfunktion, d.h., ihre Lunge war so leistungsfähig wie die Lungen gesunder, durchschnittlicher Frauen ihres Alters. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet mir die alte Frau vor dem Schwimmbad begegnet ist und mir auch noch ihre Geschichte erzählt hat. Ich bin aber sehr dankbar dafür. Das Jahr neigt sich zum Ende. Ich wünsche allen ein gesundes neues Jahr. Mögen alle Wünsche in Erfüllung gehen und alle guten Vorsätze gehalten werden!

Schwäne und Grauhreiher

Tag 563. Am letzten Sonntag (Tag 557) bin ich 19 km gelaufen. Ich denke, das ist bisher meine weiteste Strecke. Es war 4 °C und heiter. Ich lief vom großen Fluß über den Berg zum Waldsee in der Schlucht. Mit einem kleinen Schlenker zum üblichen Waldsee ging es dann wieder nach Hause. Laufen und vor sich hin denken, das ist Glück. An den nächsten drei Tagen bin ich jeweils nur kurz gelaufen. Meine Stimmung war in den drei Kurzlauftagen stetig abgesunken. Mir scheint, inzwischen brauche ich den täglichen Auslauf. Am Donnerstag, Freitag und Samstag bin ich je 14 km zum Waldsee gelaufen. An aufeinanderfolgenden Tagen zum Waldsee zu laufen ist eine Premiere gewesen. Das Wetter war lau und regnerisch, also ideal: Es waren wenig Menschen unterwegs und ich war ausgeruht von meinen drei Kurzlauftagen. Beim Regenlauf kam meine Fröhlichkeit allmählich zurück und ich wäre am liebsten gar nicht mehr umgekehrt. Die Welt war wieder rosig und die Atmung erlaubte ein lockeres, leichtes Traben. Die Grenze zwischen mir und der Natur war zeitweise nicht mehr spürbar. Es lief wie von allein. Jedesmal traf ich am Waldsee zwei Schwäne an, die wie Enten gründelten: Köpfchen in das eiskalte Wasser und Schwänzchen in die Höh‘. Das wirkt bei einem edlen Schwan etwas prollig. Aber mit dem langen Hals kommt so ein Schwan ganz schön tief. Außerdem habe ich einmal ein Graureiherpaar am Ufer gesehen. Sie saß mit dem Rücken zu mir und schien mißmutig über den See zu blicken. Er stelzte auf seinen langen Beinen durch das Schilf auf der Suche nach etwas Essbarem. Während ich noch den Wochenbericht schreibe, bricht draußen der Sturm los und es fängt an zu hageln. Gut, daß ich heute schon früh am See war und jetzt in der warmen Stube sitze.

jog-trot

Tag 556. Bei kaltem Wetter laufen hat seinen Reiz. Wichtig für mich ist nach wie vor, daß ich mich durch das Laufen lebendig und frei fühle, gerade wie der siebzehnjährige Langstreckenläufer in Alan Sillitoe’s „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“. Bei seinem stetigen „jog-trot“ durch den eiskalten Morgen geht es ihm wie mir: „…ich weiß, daß ich mich in einer halben Stunde so warm … wie ein Backofen und so glücklich wie der unermüdliche Duracell-Hase fühle… Das ist ein schönes Leben, sage ich immer zu mir selbst, wenn du dich nicht …“ von Diagnosen und Prognosen fangen lässt und wenn du nicht zulässt, daß dein Körper zum Gefängnis wird. Gestern ist mir doch tatsächlich auf der Straße eine Frau entgegengekommen, die hat ihren Sauerstofftank auf einem Gestell mit Rädern hinter sich hergezogen und hatte eine Sauerstoffbrille auf der Nase. Trotzdem hat sie mit offenem Mund um Luft gerungen! Mitleid und Angst haben mein Herz sich zusammen krampfen lassen. Helfen konnte ich ihr nicht, so rannte ich an ihr vorbei, so schnell ich konnte. Ich fühlte mich wie der Siebzehnjährige, der sich beim Laufen einen Freiraum von seiner engen Welt im Erziehungsheim erlaufen hat. Jog-trot, tapp, tapp, schnauf, schnauf, jog-trot, tapp, tapp, schnauf, schnauf… Wie den Jungen machte es mich einfach glücklich bei Kälte durch Regen, Sturm oder Sonnenschein zu laufen. Diese Woche bin ich wieder drei mal 14 km im Wald gelaufen. Wie letzte Woche mußte ich Freitag und Samstag zwischen den 14-km-Läufen kurz laufen, weil ich sonst zu müde geworden wäre. Eigentlich ist mein Ziel ja jeden zweiten Tag die 14 km zu Laufen. Das ist aber im Moment noch zu anstrengend. Zur Zeit baue ich immer wieder Zwischensprints ein. Die Zwischensprints will ich über den Winter immer mehr ausdehnen. Ich hoffe so früher oder später durchgehend mein Tempo erhöhen zu können. Vielleicht ist es nicht gerade schlau im Winter, wenn die Luft kalt ist, das Tempo zu erhöhen. Aber im Sommer, wenn so viel Staub und Feinteile in der Luft rumschweben ist das auch nicht ideal. Letztlich ist mir die Geschwindigkeit ja gleichgültig, aber es erhöht den Spaß, wenn ich meinem Körper neue und andere Reize bieten kann.

Laufen Lernen! – Aber wie?

Nach meiner Methode war das Laufen Lernen nicht so furchtbar anstrengend: Man muß nur langsam genug laufen. Am Anfang mußte ich langsamer laufen als die aller meisten Spaziergänger gehen, um so atmen zu können, daß ich mich noch hätte unterhalten können. Meine Herzfrequenz blieb am Anfang unter 100 Schläge pro Minute. Nach einigen Monaten langsamst laufen habe ich mich dann gewundert, daß dauernd Spaziergänger im Wege standen, denn unmerklich konnte ich etwas schneller als diese laufen. Dann kam die Zeit, als ich die Spaziergänger nur noch wie statische Hindernisse wahrnahm. Um das zu erreichen braucht man nur jeden zweiten Tag zu laufen. Und wenn etwas weh tut oder man sich müde fühlt, reicht auch mal nur ein Spaziergang. Wenn man unleidlich wird, sollte man auch mal eine Woche lang nur jeden dritten Tag laufen. Geduld für ein Jahr sollte man für meine Methode allerdings mitbringen. Während dieses Jahres kann man seine Strecken allmählich auf 10 bis 14 km ausdehnen. Während dieser Zeit kann man lernen, die Signale des eigenen Körpers zu verstehen. Im Laufe der Zeit wird der Körper dann zum Partner.

Täglich Laufen – 1 Jahr und 6 Monate

Tag 548. Vor einem Jahr und sechs Monaten, am 6. Juni 2013, war der erste Lauf dieser Serie. Ich wollte täglich laufen. Ich wollte meine Gesundheit verbessern. Ich hoffte auf den Tag, an dem ich nicht bei jedem Atemzug daran erinnert werde, daß ich krank bin. Jeder Lauf sollte mir Spaß machen. Deshalb lief ich langsam genug, so daß die Freude am Laufen erhalten blieb. So etwas wie an die „Kotzgrenze“ laufen ist mir bis heute fremd geblieben. Dennoch bin ich stolz und glücklich, daß ich immer mehr wie eine Sportlerin und nicht mehr wie ein Kranke laufe. Schon lange hat kein Kind mehr mit dem Finger auf mich gezeigt und über die ganze Straße gekräht: „Papa, warum läuft die Frau denn so langsam?“. Das täglich Laufen ermöglicht es, in sehr engem Kontakt zum eigenen Körper zu bleiben. Man kann täglich erproben, ob heute der Tag für einen schnelleren, einen längeren oder für einen Regenerationslauf ist. Meist erkennt man schon nach dem ersten Kilometer ob noch die Müdigkeit vom Vortag in den Knochen steckt. Man kann die Laufintensität sehr fein nach dem eigenen körperlichen Befinden dosieren. So findet eine allmählich Leistungssteigerung statt, ohne Qual. Gleichzeitig wird es aber auch immer leichter an die jeweilige Leistungsgrenze heranzulaufen. Denn der Körper und der Geist sind durch die Gewöhnung an die Belastung dazu bereit und in der Lage. Allerdings muß man sich auch Zeit lassen können, wenn man in einer Müdigkeitsphase steckt. Denn das tägliche Laufen bereichert das Leben nur, wenn ein Lauf normalerweise die Stimmung hebt und man glücklicher nach Hause kommt als man losgelaufen ist. Es gab ganz wenige Tage, an denen der Streak beinahe gerissen wäre. Ich verdanke der Einfühlsamkeit und der unterstützenden Haltung meines Mannes, daß der Streak hielt. Mein neuer Lungenarzt hat mich mit seiner Medikation unterstützt, so daß ich mit immer weniger Beschwerden laufen kann. Es gibt inzwischen nicht nur kleine Momente, sondern ganze Tagesabschnitte, an denen ich plötzlich merke, daß ich gar nicht mehr an die Atemprobleme gedacht habe. Langer Rede kurzer Sinn: Laufen lohnt sich!