1361. Derweil draußen die Eiswinde herumlungern, tröste ich mich drinnen mit Krafttraining. Natürlich fürchte ich, daß meine Ausdauer verloren geht. Meine Hoffnung ist, daß der Zuwachs an Kraft den Körper beim Laufen letztendlich leichter wirken läßt und die Ausdauer bei Bedarf wieder zu mir zurückfindet. Obwohl ich weiterhin täglich ein paar Kilometer laufe, reicht das längst nicht, um die fröhliche Leichtigkeit herbei zu zaubern, die sich durch längere Läufe einstellt.
Am Sonntag (Tag 1355) war Eiswind. Ich lief eine auf sechs Kilometer erweiterte Ententeichrunde. Wie immer am Sonntag waren viele Menschen unterwegs. Viele Väter rannten neben und hinter Kindern auf kleinen Fahrrädern her. Bemerkenswert war, daß fast jeder Vater sich einer anderen Sprache bediente. Syrisch, Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch war darunter. Schenkt der Welt Kinderfahrräder! Die Männer rennen dann gutgelaunt hinter krähenden kleinen Kindern auf kleinen Fahrrädern her und alles wird gut. Abends habe ich geturnt.
Am Montag (Tag 1356) ging es in aller Frühe auf die Parkseerunde. Es war noch dunkel. Die Karnickel waren schon aktiv. Sie hoppelten über die Wege und ließen sich von mir nicht beeindrucken. Auch die Amseln waren schon wach. Eine blieb mitten auf dem Weg sitzen als wollte sie sagen: „Ich drücke die Augen fest zu und rühre mich nicht von der Stelle. Dann kann mir nichts passieren!“. Ich war froh, daß ich den kleinen Schatten am Boden erkannt hatte und das Amselchen nicht unter meinen Riesen-Füssen zermalmt wurde. Auf dem Heimweg flogen drei Schwärme von je zwanzig Spatzen lautlos an mir vorbei. Es wurde gerade hell. Der Tag fing an. Abends habe ich geturnt.
Am Dienstag (Tag 1357) war ich schlapp und lustlos. Die Ententeichrunde genügte mir. Die Sonne konnte mich nicht erheitern. Nicht einmal der kleine Reiher, der am Rand des Teiches ganz verloren auf das Eis starrte, konnte mich rühren. Abends turnte ich lustlos. Diese Tage gibt es. Diese Tage gebe ich dem unverzüglichen Vergessen anheim.
Am Mittwoch (Tag 1358) turnte ich am Morgen. Es lief sehr gut und gab mir Energie für den Tag. Abends ging ich auf die Ententeichrunde. Eine Orkanwarnung war ausgegeben worden Und tatsächlich: es stürmte und regnete stark. Ich wurde bis auf die Haut nass. Auf meinem Weg lagen dicke Äste, die der Wind abgerissen hatte. Jakob van Hoddis fing an in meinem Kopf herum zu spuken:
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Am Donnerstag (Tag 1359) lief ich vor dem zweiten Orkantief die Parkseerunde. Am Ententeich stand wieder der kleine Reiher. Im Teich und im See schwammen die Enten zwischen den Eisschollen. Wo die Enten wohl sind, wenn der Teich und der See zugefroren ist? Auf dem Rückweg stand eine Krähe am Wegesrand. Sie wühlte mit ihrem Schnabel voller Leidenschaft in dem vermodernden Laubmatsch vom vorigen Jahr. Als ich an ihr vorbei lief, ließ sie mich durch zweimaliges lautes Krähen wissen, daß das ihr Laubmatsch ist, und ich mich gefälligst fern zu halten hätte. Abends turnte ich.
Am Freitag (Tag 1360) lief ich in sonnigem Eiswind die Parkseerunde. Der See war aufgetaut. Zwei Schwäne glänzten weiß auf dem kalten Wasser. Abends ging ich ungeturnt ins Bett.
Heute, am Samstag (Tag 1361) ist Selbstgebackener-Apfelkuchen-Tag mit der Familie. Deshalb lief ich sehr früh zum Ententeich. An Stelle von Turnen werde ich Apfelkuchen backen und dann wird geschmaust -aber bitte mit Sahne!